Nichtepileptische
anfallsartige Erscheinungen
sind auch bei Kindern weitaus häufiger
als epileptische Anfälle. Sie können diesen sehr ähnlich
sein und werden gelegentlich als epileptisch missdeutet.
Bei
Neugeborenen und Säuglingen – im 1. Lebensjahr, sind
es vor allem:
Schlafmyoklonien
Schauderanfälle (shuddering attacks)
Hyperekplexie
(Startle-Krankheit)
Moro-Reflex
Stereotypien
Selbststimulation
Sandifer-Syndrom
Affektanfälle (Wegschreien)
Die
gutartigen Schlafmyoklonien des Säuglings beginnen in der
Regel schon im Neugeborenenalter – d.h. in den ersten 30 Lebenstagen. Sie
treten nur bei Müdigkeit und im Schlaf auf. Es sind rhythmische wie auch
irreguläre Zuckungen von mehreren Minuten, ausnahmsweise auch von über einer
halben Stunde Dauer, die sowohl generalisiert als auch an wechselnden
Gliedmaßen zu sehen sind und immer durch Aufwecken des Kindes zu beenden sind.
Sie verschwinden in der Regel bis zum 6. Lebensmonat. Das EEG
ist bei diesen Kindern zwischen den Anfällen und während der Anfälle normal.
Die Schlafmyoklonien sind somit keine epileptischen myoklonischen Anfälle.
Schauderanfälle
(engl. „shuddering
attacks“) sind Frösteln-ähnliche
nichtepileptische Zitteranfälle gesunder Säuglinge, auch bis ins 2. Lebensjahr.
Sie erfolgen nur im Wachzustand und sind besonders bei aufregenden Ereignissen
(z.B. bei der Nahrungsaufnahme) zu sehen. Dabei besteht keine
Bewusstseinseinschränkung und auch ein normales EEG.
Später entwickeln sich die Kinder unauffällig.
Hyperekplexie
(auch Startle-Krankheit oder Stiff-baby-Syndrom)
wird eine seltene, meist erbliche nichtepileptische nervöse Übererregbarkeit
genannt. Dabei besteht eine extreme Schreckhaftigkeit und Übererregbarkeit
schon im Neugeborenenalter, mit Zittern der Arme und Beine, Verkrampfung der
Hände und Finger, Anspannung des Körpers mit steifer Rückbeugung des Kopfes.
Bei Erschrecken typische „startle reaction“, wobei die Arme weit auseinandergerissen
werden. Eine spontane Besserung erfolgt in der Regel mit zunehmendem Alter.
Notfalls werden Medikamente eingesetzt, u.a. Benzodiazepine.
Zu unterscheiden von der „startle
reaction“ ist der Moro-Reflex, ein normaler
Schutzreflex jedes Säuglings in den ersten 3 Lebensmonaten: Ein plötzlicher
ungewohnter Reiz, ein Zurückfallen des zuvor unterstützten Kopfes, auch brüske
Rückbeugung des Oberkörpers, bewirkt ein ruckartiges Strecken beider Arme mit
Fingerspreizung, auch Mundöffnung mit Einatmung, gelegentlich zusätzlicher
Hüftbeugung. Danach werden die Arme zurück an den Körper geführt und die Hände
gefaustet. Bei schreckhaften Kindern kann der Moro-Reflex
sehr häufig auftreten, auch aus dem Schlaf heraus, und bis ins Kindesalter
bestehen bleiben. Er schwindet in der Regel nach dem dritten Monat allmählich
und wird durch einen normalen Schreckreflex abgelöst – ein kurzes Zusammenzucken, wie man es auch
bei Erwachsenen sieht.
Stereotypien,
gleichförmig sich wiederholende Bewegungsmuster, werden bei Säuglingen und
Kleinkindern häufiger gesehen. Ein Handlutschen, Fingerkauen, Haarereißen, Rumpfschaukeln oder Gesichterschneiden
(Grimassieren) wird von Eltern meist noch nicht als ungewöhnlich empfunden,
wenn es gelegentlich und vorübergehend und in besonderen Situationen (z.B.
Angst, Stress, Langeweile) auftritt. Zum Arzt führt gelegentlich ein gehäuftes
und excessives und unmotiviertes Auftreten, besonders
von ungewöhnlichen Bewegungsmustern wie Unterarm- oder Beineschütteln,
Händeklatschen, Fingerreiben oder auch Grimassieren. Meistens sind sie als
gutartige vorübergehende Bewegungsstörungen einzuordnen, gelegentlich als
Selbststimulation (z. B. Rumpfschaukeln; im Bett wird oft der Kopf auf der
Unterlage hin- und her und gegen die Bettumrandung gerollt) oder als Tic (s.u. Schulalter).
Auch die Selbststimulation als Selbstbefriedigung
kommt nicht selten schon bei Säuglingen ab 3 Monaten und bei Kleinkindern vor,
überwiegend bei Mädchen. Dabei sieht man in stereotyp sich wiederholender Form
wippende, schaukelnde und reibende Körperbewegungen, auch Erröten des Gesichts
und Schwitzen, Starren und Stöhnen. Dauer Minuten bis selten Stunden. Dabei
erfolgt eine Stimulation des Schoßbereichs oft durch Reiben mit weichen
Gegenständen, wie Kuscheltieren. Die Kinder hören mit den Stimulationen meist
nach einigen Wochen oder Monaten spontan auf.
Schon
im Säuglingsalter, vermehrt im 2.- 3. Lebensjahr, sieht man das „Sandifer-Syndrom“.
Dabei Auftreten plötzlicher – z.T. bizarrer -
tonischer Streckhaltungen der Arme, auch mit Überstreckung des Kopfes und
Oberkörpers nach hinten (Opisthotonushaltung) sowie tonische Kopfwendungen. Als Ursache
gilt u.a. eine Schmerzreaktion des Kindes auf einen
Rückfluss vom Magen in die Speiseröhre. Das EEG kann epileptische Anfälle
ausschließen.
Affektkrämpfe (Wegschreien) gibt es – nicht selten - schon beim älteren
Säugling. Es sind anfallsartige Bewusstseinsstörungen, die durch
unangenehme Reize (Affekte) ausgelöst werden.
Bei
Säuglingen, besonders bei Neugeborenen, ist die Deutung der vielfältigen
anfallsartigen Symptome oft schwierig, auch ihre Unterscheidung von den –
ebenso vielförmigen - epileptischen Anfällen. Epileptische Anfälle kommen im
Säuglingsalter vor allem als Gelegenheitskrämpfe vor – u.a. als Neugeborenenkrämpfe
und Fieberkrämpfe. Zu beachten ist in diesem → Manifestationsalter
unter den Epilepsien besonders das West-Syndrom.